Solvathons: Neue Wege zur Diagnose seltener Erkrankungen
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In Nature Genetics berichten sie im Artikel "The Solve-RD Solvathons as a pan-European interdisciplinary collaboration to diagnose patients with rare disease" über das Erfolgsmodell. Solvathons sind strukturierte, interdisziplinäre Workshops, die im Rahmen des EU-Projekts „Solve-RD” (Solving the Unsolved Rare Diseases) entwickelt wurden, um die Diagnostik seltener Erkrankungen zu verbessern. Inspiriert von Hackathons bringen sie Fachleute mit klinischer Expertise und Forschende der Bioinformatik zusammen, um gemeinsam reale Fälle mithilfe moderner Technologien zu untersuchen.
Diagnostik trifft Datenwissenschaft
Ziel ist es, unklare genetische Befunde durch kollaborative Auswertung zu lösen und gleichzeitig Wissen zu teilen. Zwischen 2023 und 2024 fanden vier Solvathons mit Fokus auf Datenmodelle statt, die die klassische, von Gendiagnoselabors routinemäßig verwendete Short-Read-Genomsequenzierung ergänzen.
Diese innovativen Datentypen, zu denen unter anderem Long-Read-Sequenzierung, optisches Mapping und die Sequenzierung von Ribonukleinsäure (RNA) gehören, fallen unter den Begriff „Omics”: ein Sammelbegriff für wissenschaftliche Disziplinen, die biologische Moleküle in großem Maßstab analysieren. In der Medizin, insbesondere im Zusammenhang mit seltenen Krankheiten, helfen Omics-Methoden, Krankheitsmechanismen zu identifizieren, neue Biomarker zu entdecken und personalisierte Therapien zu entwickeln. Ihre Analysen erfordern jedoch ein Fachwissen, das über das in diagnostischen Routinelabors vorhandene hinausgeht. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit von Solvathons.
Ein europäisches Netzwerk für seltene Erkrankungen
Im Rahmen des EU-Projekts Solve-RD haben mehr als 100 Partnerinstitutionen aus 26 Ländern von 2018 bis 2024 daran gearbeitet, unklare Fälle seltener Erkrankungen mithilfe modernster Omics-Technologien und kollaborativer Datenanalyse zu lösen. Die Technische Universität München (TUM) war durch Professor Julien Gagneur und Dr. Vicente A. Yépez vom Lehrstuhl für Computational Molecular Medicine federführend an der Konzeption und Umsetzung der Solvathons beteiligt.
Das Nachfolgeprojekt ERDERA (European Rare Disease Research Alliance) wird das Format der Solvathons weiterführen und ausbauen – mit dem Ziel, sie als festen Bestandteil der europäischen Diagnostiklandschaft zu etablieren.
„Diese Solvathons waren nicht einfach nur Meetings, sondern Problemlösungsmissionen in Echtzeit", so Dr. Vicente A. Yépez, Erstautor von der Technischen Universität München. „Sie ermöglichten die praktische Lösung von Fällen und eine intensive Zusammenarbeit zwischen klinischen und analytischen Experten."
„Wir haben in den letzten Jahren eine ganze Reihe von Algorithmen entwickelt, um die Diagnoseraten bei seltenen Krankheiten mithilfe von Omics-Daten zu erhöhen. Es war phantastisch zu sehen, wie sie in diesem Umfang eingesetzt wurden und wie wir gemeinsam mit Kollegen in ganz Europa die Krankheitsursachen für Dutzende von Patienten ermitteln konnten", fügt Prof. Julien Gagneur hinzu.
Solvathons: Ein Modell für die Zukunft
Jeder Solvathon kombinierte reale Patientenfälle mit anspruchsvoller Datenanalyse und -interpretation. Insgesamt wurden mehr als 1.000 Familien untersucht, wobei die Ergebnisse zu 28 direkten Diagnosen während der Veranstaltungen und zu mindestens 80 weiteren im Nachgang führten.
Dabei wurden nicht nur neue Diagnosen gestellt, sondern auch wertvolle Schulungseffekte erzielt. Besonders hervorzuheben ist die Rolle von RNA-Sequenzierung und Long-Read-Sequenzierung bei der Aufdeckung bislang unerkannter genetischer Ursachen. Zudem entwickelten die Forschenden dabei neue Analyse- und Visualisierungsmethoden, die nun europaweit Anwendung finden.
Die im Artikel beschriebenen Solvathons zeigen, wie interdisziplinäre Zusammenarbeit, moderne Datenanalyse und klinische Expertise Hand in Hand gehen können. Zudem bietet die Publikation einen praktischen Rahmen für die Umsetzung ähnlicher diagnostischer Bemühungen auf globaler Ebene – ein wesentlicher Beitrag zur sich entwickelnden Landschaft der personalisierten Medizin.