Werte im Wandel: Aus Ludwig-Prandtl- wird Anna-Boyksen-Straße
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Sie erfolgte auch im Sinne der Technischen Universität München (TUM): Am Campus Garching sollen alle nach nationalsozialistisch-belasteten Wissenschaftler:innen benannten Straßen und Räume geändert werden. Da er zu den wichtigsten Wissenschaftsstandorten in Deutschland zählt, setzt die Umbenennung der Ludwig-Prandtl-Straße in Anna-Boyksen-Straße ein starkes Signal.
Unbekannte Pionierin
Im Gegensatz zu Ludwig Prandtl ist Anna Helene Boyksen (1881 – 1920) recht unbekannt. Geboren wurde sie am 11. August 1881 in Havendorfer Sand im Großherzogtum Oldenburg. Ihr Vater – ein Kaufmann – starb, als die Tochter 11 Jahre alt war. Für sie wurde ein Vormund bestellt. Ihre gesicherte wirtschaftliche Situation und ihre Begabung ermöglichten Anna Boyksen den Besuch des Mädchengymnasiums in Karlsruhe, das sie 1904 mit der Hochschulreife abschloss. Danach studierte sie zwei Jahre lang an der Universität Berlin Mathematik und Naturwissenschaften. 1906 schrieb sie sich als erste Frau für ein Studium der Elektrotechnik in München ein. Bemerkenswert, denn ein Studium, insbesondere an einer solchen Einrichtung, war damals reine Männersache.
Die Gesellschaft leistete sich den Luxus, das geistige Potenzial der Hälfte ihrer Bevölkerung zu vernachlässigen. Erst im April 1905 hatte das Königreich Bayern als erster deutscher Einzelstaat Frauen an einer Technischen Hochschule zum Studium zugelassen. Voraussetzung für eine Immatrikulation war das Reifezeugnis eines deutschen Gymnasiums oder Realgymnasiums. Dieses Kriterium erwies sich damals als eine große Hürde. Die meisten interessierten Frauen konnten in jener Zeit das geforderte Dokument mangels Förderung nicht vorlegen. 1908 bestand Anna Boyksen als erste Frau die Vordiplomprüfung mit „Gut“.
Belastete Persönlichkeit
Der nun gewichene Namensgeber Ludwig Prandtl (1875 – 1953) gilt als einer der bedeutendsten Strömungsmechaniker des 20. Jahrhunderts. Während der Zeit des Nationalsozialismus (NS) war er jedoch politisch und institutionell belastet. Er nutzte die militärische Bedeutung seiner Forschung, um Fördermittel für einen neuen Windkanal zu erhalten. 1942 wurde er Vorsitzender der Reichsstelle „Forschungsführung des Reichsluftfahrtministers und Oberbefehlshabers der Luftwaffe“.
Gehörte er zu den Forschenden, die mit dem NS-System kooperierten, ohne dessen Ideologie zu unterstützen? Dr. Michael Eckert vom Forschungsinstitut für Technik- und Wissenschaftsgeschichte am Deutschen Museum München beantwortet diese Frage differenziert in seiner Biografie „Ludwig Prandtl – Strömungsforscher und Wissenschaftsmanager: Ein unverstellter Blick auf sein Leben“. Zwar wurde Prandtl demnach nicht Mitglied der NSDAP, verortete sich aber „politisch weit im rechten Lager“.
Zeichen der Zeit
Auch wenn Anna Boyksen im Hinblick auf ihre wissenschaftliche Tätigkeit im Bereich Elektrotechnik in keinster Weise an die Leistungen von Ludwig Prandtl heranreicht: Die Umbenennung der Straße ist nicht nur als Zeichen der historischen Verantwortung zu verstehen. Sie symbolisiert darüber hinaus einen Wandel, der auch innerhalb der TUM besondere Beachtung erfährt: Die naturwissenschaftliche Förderung von Frauen und Mädchen als wichtige Mission.